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Mein Tisch                                                                                                                                 von Karl Heinrich Waggerl

 

MEIN TISCH war das erste Stück Hausrat, das ich erwarb, als ich mich  in jungen Jahren entschlossen hatte, seßhaft und ein gesitteter Mensch zu werden. Von nun an, dachte ich,  muß  dein  Dasein  eine  feste Mitte haben, eben diesen Tisch. Du wirst mit Anstand daran sitzen, um dein Brot zu essen, und wenn du nichts zu kauen hast, kannst du wenigstens die Ellbogen darauf stützen und deine Sorgen überdenken. Haus und Hof wirst du ja doch nie gewinnen, aber dieses kleine Geviert ist so gut wie ein Stück Land. Du wirst deine Gedanken hineinsäen, und der Himmel wird sie  verderben  oder  reifen  lassen,  wie sonst die Saat auf einem Acker. Es werden nur geringe Gedanken sein, das soll dich wenig kümmern. Großen Geistern ziemt es zwar, sich in große Ideen zu kleiden, aber schließlich leben auch sie wie unsereins vom täglichen Brot der kleinen Einfälle.  Und  was  immer  du  tust,  das Rechte wie das schlechte, es geht seine eigenen Wege.

so war es dann auch, und so ist es geblieben. Freilich, wenn ich mich an meinen Tisch setze, Mus ich ihn zuerst mit einem passend gefalteten Brief ins Gleichgewicht bringen, weil jeden Tag ein anderes von seinen vier Beinen ein wenig kürzer ist. Unten, in der Fußleiste, hat er einen Wurm sitzen, der streut seit Jahr und Tag kleine Häufchen von gelbem Holzmehl auf den Boden, unermüdlich, es muß ein Geschäft für die Ewigkeit sein, einen Tisch aufzuzehren. Auch die Platte ist nicht mehr ganz eben, unzählige Mägde haben runde Astknoten aus dem beinharten Holz gescheuert, und das ärgert mich manchmal bei der Arbeit, ich kann nicht wie der liebe Gott über Berg und Tal schreiben. Irgendwann einmal muß wohl ein verliebter Mensch  an  meinem Tisch  gesessen haben, der schnitzte ein A und ein M hinein, und ein Herz dazu, aber nur ein halbes. Vielleicht war das Messer zuwenig scharf oder die Liebe nicht groß genug. Wunderlich, das ich mich von jeher nur unter altem Gerümpel wohl gefühlt habe. Woran mag das liegen? Grob gesagt, ich lebe überhaupt weit lieber mit Dingen als mit Menschen. Jedes ist ein Wunder für mich, denn jedes ist nur reine Gestalt, weiter nichts. Der Sinn seines Daseins ist, ganz einfach dazusein. Freilich kann auch ein Ding sozusagen in Sünden fallen, aber daran ist immer nur der Zweck schuld, den wir ihm aufbürden. Das ist es ja auch, was unser eigenes Tun verdirbt, denn schuldlos kann nur das Zwecklose sein. Der Mensch allein ist fähig, sein wahres Wesen zu verbergen, und er ist ja auch das einzige Geschöpf, das es nötig hat. Es wäre unmöglich, zu leben, wenn es möglich wäre, das einen jemand wirklich kennt. Ich gebe zu, das alles mag nur gleichnisweise richtig sein, ohne tieferen Zusammenhang. Aber wenn eines gar nichts mit  dem anderen zu tun hat, dann ist mir das immer doppelt verdächtig.

Verdächtig auch, das mein Herz so sehr an alten Dingen hängt. Liegt es daran, das jedes von diesen Dingen nur einmal in der  Welt vorhanden ist? Meinem Tisch zu

begegnen war ein Glücksfall, unwahrscheinlich wie der, das man unter tausend Leuten einen Menschen findet. Ich meine auch zu wissen, wie der Mann beschaffen war, der vor langen Jahren zu einem Meister ging und sagte: „Du sollst mir einen Tisch machen. Mach ihn so breit, das ich eben noch hinüberlangen und meine Hand auf eine andere legen kann. Das Maß für die Höhe nimm von mir; wenn ich schon nicht immer aufrecht stehen darf, an meinem Tisch will ich aufrecht sitzen. Die Beine kannst du ein wenig abdrehen, des Ansehens halber, aber mach eine Trittleiste  unten herum,  damit es kein, Gescharre auf dem Boden gibt, das haben die Weiber nicht gern. Ja, und unter die Platte zimmerst du mir eine Lade für das Brot und das Messer." Der Meister machte es dann so, er tat noch ein übriges und strich das Gestell und den Kranz mit guter Farbe, und auf das Stirnbrett der Lade malte er ein heiliges Zeichen, den Namen dessen, der das Brot gibt. Inzwischen sind freilich seine Malerkünste unter dem Putzlappen der Frauenzimmer dahingegangen. Die werden ja sogar Gottes Thron bis auf das Holz blank reiben, wenn sie dereinst alle im Himmel sind.

Einmal hatte ich einen Freund zu Gast, dem gefiel mein Tisch so sehr, das er beschloß, ihn nachmachen zu lassen. Er habe zwanzig Häuser in einer Reihe gebaut, sagte er, das erste haargenau wie das letzte, so dass die Inwohner das ihre nur wiederfinden konnten, solange sie ganz nüchtern waren. Also müßte es doch seltsam zugehen, wenn es nicht gelänge, dieses grobschlächtige Möbelstück ein zweites Mal in die Welt zu setzen. Einen Abend lang krochen wir unter dem Tisch herum und maßen und zirkelten und zeichneten alles getreu auf das Reisbrett. Aber nach Wochen, als der neue Tisch aus der Werkstatt kam, stand der Freund davor und schüttelte den Kopf. Was denn, wir krochen abermals unter den Tisch, um zu messen und zu zirkeln. Kein Zweifel, alles haargenau und richtig. Auch das Herz hatte der Meister hineingeschnitten, sogar ein ganzes, der Ordnung halber. Es war wirklich der gleiche Tisch, nur eben bei weitem nicht derselbe.

Nun, wir setzten uns dann doch wieder an den alten. Ich holte zum Trost eine

Flasche aus dem Keller, weisen Wein köstlich im Glas, und schwarzes Brot  und Nüsse. Wir schwiegen gesprächig. Und alles war gut.

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