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Diesen wunderbaren Text habe ich beim Aufräumen gefunden. Er muss jahrzehnte lang in meiner Schreibtischschublade gelegen haben, ein aus einer Zeitschrift herausgerissenes Blatt, unlängst zum ersten Mal gelesen und tief berührt habe ich ihn ins Fundbureau gebracht.

                                                                                                                                           U. Frey                                             

Name und Tränen

                                                                                                                        von Elio Vittorini

Ich schrieb in den Kies des Gartens, und es dunkelte schon; längst brannten an allen Fenstern die Lichter.

Der Wächter kam vorüber. «Was schreiben Sie?» fragte er mich.

«Ein Wort», erwiderte ich.

Er bückte sich, sah's aber nicht. «Was ist das für ein Wort?» fragte er aufs neue.

«Nun», sagte ich, «es ist ein Name.»

Er fuchtelte mit seinen Schlüsseln. «Kein, Es lebe’ ? Kein, Nieder mit’ ?»

«O neinl» rief ich aus. Und ich lachte dazu. «Es ist ein Personenname», sagte ich.

«Der Name einer Person, auf die Sie warten?» fragte er mich.

«Ja», antwortete ich. «Ich warte auf sie.»

Nun entfernte sich der Wächter, und ich begann wieder zu schreiben. Ich schrieb und stieß auf Grund unter dem Kies, und ich grub, und ich schrieb, und die Nacht war schwärzer.

 

Wieder kam der Wächter. «Sie schreiben immer noch?» sagte er.

«Ja», sagte ich. «Ich habe ein wenig weitergeschrieben.»

«Was haben Sie noch geschrieben?» fragte er.

«Sonst nichts», antwortete ich. «Nichts als Jenes Wort.»

«Was?» rief der Wächter. «Nichts anderes als jenen Namen?»

Und wiederum fuchtelte er mit seinen Schlüsseln, und er zündete seine Laterne an, um hinzuschauen.

«Ich sehe es», sagte er. «Es ist nur jener Name.»

Er hob die Laterne hoch und blickte mir ins Gesicht.

«Ich habe ihn tiefer eingeschrieben», erklärte ich.

«Ach so», sagte er darauf. «Wenn Sie fortfahren wollen, gebe ich Ihnen eine Hacke.»

«Geben Sie sie mir», erwiderte ich.

Der Wächter gab mir die Hacke, dann entfernte er sich wieder, und mit der Hacke grub ich und schrieb den Namen bis tief in die Erde hinein. Ich härte ihn gewiss bis zur Kohle und zum Erz geschrieben, bis zu den heimlichsten Metallen, die uralte Namen sind. Aber der Wächter kehrte nochmals zurück und sagte:

«Nun müssen Sie gehen. Hier wird geschlossen.»

 

Ich stieg aus den Gruben des Namens hervor.

«Gut so», erwiderte ich.

Ich legte die Hacke nieder und trocknete mir die Stirn, ich schaute die Stadt an rund um mich her,

jenseits der finsteren Bäume.

«Gut so», sagte ich. «Gut.»

Der Wächter grinste, «Sie ist nicht gekommen, he?»

«Sie ist nicht gekommen», sagte ich.

Aber gleich darauf fragte ich; «Wer ist nicht gekommen?»

Der Wächter hob seine Laterne hoch, um mir wie vorhin ins Gesicht zu schauen.

«Die Person, auf die Sie warteten», sagte er.

«Ja», sagte ich, «sie ist nicht gekommen.»

Aber wiederum, gleich darauf, fragte ich: «Welche Person?»

«Nun!» sagte der Wächter. «Die Person mit dem Namen.»

Und er fuchtelte mit seiner Laterne, fuchtelte mit seinen Schlüsseln» dann sagte er: «Wenn Sie noch ein wenig warten wollen, brauchen Sie sich nicht zu zieren.»

«Nicht darauf kommt es an», sagte ich. «Danke.»     

        

Aber ich ging nicht fort, ich blieb, und der Wächter blieb bei mir, um mir Gesellschaft zu leisten.

«Welch eine schöne Nacht!» sagte er.

«Eine schöne Nacht», sagte ich.

 

Dann ging er ein paar Schritte weit, mit seiner Laterne in der Hand, auf die Bäume zu.

«Ja aber», sagte er, «sind Sie sicher, dass sie nicht dort ist ?»

Ich wusste, dass sie nicht kommen konnte, fuhr aber dennoch zusammen.

«Wo?» sagte ich leise.

«Dort», sagte der Wächter. «Sie sitzt auf der Bank.»

Laub regte sich bei diesen Worten; eine Frau stand aus dem Dunkel auf und begann auf dem Kies zu gehen.

Ich schloss die Augen ob dem Klang ihrer Schritte.

«Sie war doch gekommen, he?» sagte der Wächter.

Ich gab ihm keine Antwort und machte mich auf, ihr zu folgen,

«Hier wird geschlossen», rief der Wächter. «Hier wird geschlossen.»

Unter den Rufen «Hier wird geschlossen» entfernte er sich zwischen den Bäumen.

 

Ich schritt hinter der Frau aus dem Garten und dann durch die Straßen der Stadt.

Ich folgte immer dem nach, was einst der Klang ihrer Schritte auf dem Kies gewesen. Ich kann sogar sagen: geleitet von der Erinnerung an ihre Schritte. Und es war ein langes Gehen, ein langes Folgen, bald unter der Menge und bald einsame Gassen entlang, bis ich, zum erstenmal, den Blick emporhob und sie sah,

eine Vorübergehende, im Licht des letzten Ladens.

Zwar sah ich nur ihr Haar. Sonst nichts. Und mir wurde bang, sie zu verlieren, ich begann zu rennen.

In jenen Gegenden der Stadt wechselten Wiesen und hohe Häuser ab, dunkle Exerzierplätze und Messen von Lichtern, und im Hintergrund das rote Auge des Gaswerks. Mehrere Male fragte ich: «Ist sie hier vorübergekommen?»

Alle gaben mir zur Antwort, sie wüssten es nicht.

Aber ein höhnisches kleines Mädchen näherte sich, hurtig auf Rollschuhen, und lachte,

«Aaaht» lachte es. «Ich wette, du suchst meine Schwester.»

«Deine Schwester?» rief ich. «Wie heisst sie?»

«Ich sag es dir nicht», erwiderte das Mädchen.

Und wieder lachte es; auf den Rollschuhen schlug es einen Kreis im Totentanz um mich herum.

«Aaahl» lachte es.

«Dann sag mir, wo sie ist», fragte ich es.

«Aaah!» lachte das Mädchen. «Sie steht unter einer Tür.»

Es wirbelte noch eine Weile rund um mich in seinem Totentanz, dann fuhr es weg auf der unendlichen Allee und lachte. «Sie steht unter einer Tür», rief es von weitem und lachte.

 

Unter den Türen standen schändliche Paare; aber ich gelangte zu einer, die einsam und leer war.

Der Flügel öffnete sich, als ich daran stieß, ich stieg die Treppen empor und vernahm schon ein Weinen.

«Ist's sie, die da weint?» fragte ich die Abwartsfrau.

Die Alte schlief sitzend auf halber Treppenhöhe, mit ihren Lumpen in der Hand, und sie erwachte und schaute mich an.

«Ich weiß es nicht», erwiderte sie. «Wollen Sie mit dem Aufzug fahren?»

Ich wollte nicht mit dem Aufzug fahren, ich wollte bis zu jenem Weinen gehen, und ich stieg weiter die Treppen hinauf zwischen den schwarzen aufgesperrten Fenstern. Schließlich gelangte ich dahin, wo das Weinen war; hinter einer weißen Tür, Ich trat ein und hatte es nah bei mir, ich drehte das Licht an.

Aber im Zimmer sah ich niemanden, und ich hörte nun auch nichts mehr. Doch lag, auf dem

Ruhebett, das Taschentuch mit ihren Tränen.

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